20.09.14 Here I Am, Lord

Halbzeit ungefähr, zeitlich und auch streckentechnisch. Und was gestern für den Weg zum geografischen Mittelpunkt galt, war auch heute so: den Kern zu durchdringen ist mühsam.

Schon um 6.45 Uhr brach ich nach einer sehr erholsamen, angenehm temperierten Nacht und einer herzlichen Verabschiedung durch die nette Shop-Chefin aus Finke auf, das Fernziel für den Tag lautete Alice Springs. Dazwischen lag der Old Ghan Track (Old South Route). Also ging es nach Norden über Wege, die bei uns zum Teil nicht mal das Prädikat Feldweg bekämen. Die ersten 100km war die Streckenfindung das größte Problem, da es ein unübersichtliches Geflecht aus Parallelwegen und Abzweigen gab, die in keiner normalen Karte stehen. Erstmals kamen meine Spezialkarten fürs GPS (den Sinn dieses Kaufs hatte ich erst vorgestern angezweifelt) wirklich sinnvoll zum Einsatz, denn die kannten alle Weglein und brachten mich ohne Verfahren da durch.

Die Strecke verläuft, wie der Name sagt, entlang bzw. teils auch genau auf der alten Route des legendären Ghan, eines Fernzuges, der Australien mittig von Süd nach Nord durchquert. Die Schienen sind schon lange nicht mehr da, bis auf ein paar Stücke irgendwo in der Landschaft bestanden die Hinterlassenschaften aus vielen Schwellen, vor allem aber aus den kleinen Stationen entlang der Strecke, inzwischen natürlich alles Ruinen. Die ersten beiden fand ich erst gar nicht, obgleich GPS und Karten standhaft behaupteten, sie seien genau da, wo ich stand. Vermutlich sind sie inzwischen von der Vegetation überwuchert. Doch bei den anderen Orten hat sich der Denkmalschutz die Mühe gemacht, ein wenig zu beschildern und zu erklären. Unvorstellbar, welche Mühe das Verlegen dieser Bahnlinie durch die Dünen der Simpson Desert gekostet haben muss … die durchschnittliche Dünenhöhe betrug 5-7m, dazu einige Berge, in die Durchlässe gesprengt wurden und auf denen heute die Wegstrecke verläuft. Genau zwei Fahrzeuge begegneten mir in den ersten fünf Stunden der Fahrt, die ich für die ersten 150km brauchte.

Danach hätte ich geradeaus nach Alice Springs weiterfahren können, aber ich wollte ja noch zum Rainbow Valley, also Abbiegen nach Westen auf die Hugh River Stock Route. Wie der Name sagt, wurden da früher die Rinderherden hergetrieben, und Rinder gibt es auch heute noch reichlich bei den dortigen stations. Und mit den Rindern viele, viele Tore, die man für die Durchfahrt erst öffnen und dann natürlich wieder schließen muss. War die Landschaft zuvor oft herb und karg, so wurde sie dort an vielen Stellen lieblich, die Blumen blühten noch zahlreicher und prächtiger, alles wirkte, obwohl immer noch Wüste, fruchtbarer. Hat sich wirklich gelohnt! Ach ja, dort begegnete mir kein anderes Auto …

Nach ungefähr 70km erreichte ich wieder den Stuart Highway und nach einer kurzen Pause am Stuarts Well Roadhouse besuchte ich dann noch das Rainbow Valley. Es liegt rund 23km vom Highway entfernt und ist nur über eine sandige Piste zu erreichen. Zu deren Beginn stehen viele Warnschilder von wegen sandige, rutschige Wegstrecke. Jedoch war sie tausend Mal besser als das, was am Mittwoch von der Grenze bis Yulara geboten wurde – und wovor nicht gewarnt wurde. Das Tal selbst ist wirklich ein Traum, aber seht Euch einfach die Bilder an, die geben das besser wieder als Worte. Nur einen Haken hatte es: das übliche Übel des Outback – Fliegen. Hier waren es besonders viele, die sich auch von Antibrumm völlig unbeeindruckt zeigten. Also: Maul halten 😉
Tja, und danach sehnte ich mich so sehr nach einer Dusche, dass die restlichen rund 70km nach Alice Springs auf dem Asphalt ganz fix vorübergingen. Nach einem kurzen Ausflug ins kühle Nass schaffte ich es noch in die Vorabendmesse. Sehr nett und unverkrampft übrigens, hatte tw. eher was von Freikirche mit viel Gemeindebeteiligung, Band, Liedprojektion, Begrüßungsdienst usw. Eines meiner Lieblingslieder wurde auch gesungen – so wie übrigens heute auch nach der Predigt des neuen Kölner Erzbischofs Woelki: Here I Am, Lord.

Here I Am, hier bin ich also. Es ist nicht leicht in Worte zu fassen, was soviel Zeit allein und soviel tatsächliche Abgeschiedenheit mit einem macht. Es ist auf jeden Fall noch ganz anders als in Exerzitien. Trotz allem Staunen über die Schönheiten des Landes, manchen Herausforderungen des Weges, bleibt reichlich Freiraum zum Nachsinnen. Die Gedanken und Gebete verändern sich, werden weiter, ehrlicher, freier und bodenständiger, wenn einem die laute Stille des Wüstenwindes um die Nase weht und einen der Staub von oben bis unten einpudert. Gefühle wie Freude, Staunen, Angst, Sicherheitsbedürfnis, Aufbruchstimmung, Mut usw. werden intensiver. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, kann ich auf jeden Fall sagen: genau das alles tut mir sehr gut und ich entspanne mich trotz der Anstrengung zunehmend. Lautete die Frage anfangs noch: warum bin ich hier?, so heißt es jetzt: Here I Am. Hier, nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Ganz unmittelbar. Ich bin hier, um hier zu sein.

Bilder:
1. Finke, ein ziemlich trostloser Flecken
2.-3. Landschaft am Old Ghan Track in der Nähe von Rumbalara (einer der beiden Orte, die ich nicht fand)
4. Zwischen Rumbalara und Engoordina
5.-6. Engoordina Siding
7.-10. Bundooma Siding
11.-15. Zwischen Bundooma und Rodinga (12. am Track übriggebliebene Bahnsignale)
16.-19. Rodinga Siding
20. Der zweite der einzigen beiden Wegweiser, die auf dem gesamten Old Ghan Track zu sehen waren
21.-28. Hugh River Stock Route, blühende Landschaften, marode Farmen (22. & 28. eines der vielen gates und die Herrschaften, für die sie da sind)
29. Die Strecke des neuen Ghan, ein gutes Stück weiter westlich
30. Einer der vielen Galahs, die ich so mag (bei Stuarts Well)
31. Auf dem Weg ins Rainbow Valley wieder blühende Wüste
32.-41. Rainbow Valley
42. Sundowner 🙂

1 Gedanke zu „20.09.14 Here I Am, Lord“

  1. Meister Eckhart sagte einmal: der Wichtigste Ort ist wo Du gerade bist, der wichtigste Augenblick ist jetzt u der wichtigste Mensch ist der, der Dir gerade gegenüber steht. Schön, dass Du uns auch ein bisschen an Deiner inneren Reise teilnehmen lässt. Weiterhin viel Segen bei Deiner Tour durch die innere und äußere Wüste. Herzlichst Ute St.

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