Manchmal wär ich gern ’ne andere

andersJa, so ist es. Wie? Ungefähr so: Nicht im Kloster. Sicher Christin, bestimmt in der katholischen Kirche, aber wohl keine Theologin. Vielleicht Schiffsbauingenieurin oder Pilotin. Mit einem Ehemann. Und Kindern. Irgendwo in einer ruhigen Umgebung, weit draußen vor der Stadt. Vielleicht hätten wir gemeinsame Hobbies, und Freunde, die so nahe wohnen, dass wir einander häufiger sehen könnten. Gemeinsam auf der Suche nach Gott, in der Gemeinde, vielleicht auch in einer Gemeinschaft darüber hinaus. Und reisen würden wir wohl, nicht in die großen Städte, sondern an die stillen Strände, in die Weite der Wüste und die Schönheit der Wälder und Berge.

Das alles ist nicht real. Ein Traum, einer von vielen unterschiedlichen. Die Fakten: ich bin im Kloster, katholisch, Theologin. Zur Ingenieurin hätten meine Leistungen in Physik wohl nicht gereicht. Und für die Pilotin wäre ich vielleicht nicht gesund genug gewesen. Einen Ehemann gibt es nicht, ebenso keine Kinder. Ich wohne ruhig und wunderschön. Weit draußen. Doch so weit von vielen Freunden entfernt, dass wir einander nur selten sehen können. Ich habe eine Gemeinschaft von Geschwistern weltweit, nicht nur im Kloster oder der katholischen Kirche, mit denen ich Gott suchen darf. Und reisen kann ich für die nächsten Jahre und vielleicht auch für immer nur im Traum. So sieht’s aus.

Manchmal wär ich gern ’ne andere. Warum denke, schreibe ich sowas, nach gerade einmal zwei Wochen Noviziat? Weil es die Wahrheit ist. Ich habe diese Träume. Und fühle mich dennoch wohl hier. Führe ein Leben, von dem ich spüre, es scheint mir zu entsprechen. Ringe mit Verzicht und bin doch zufrieden (geworden). Und träume trotzdem weiter, vom Anderssein. Lange habe ich das nicht verstanden, mich nicht verstanden. Mich gefragt, ob sie einst aufhören würden, wenn ich nur – ja, was? – noch zufriedener geworden wäre? nicht mehr suchen würde, sondern gefunden hätte? …?

Ein geschätzter Gesprächspartner schrieb mir die Tage einige Zeilen, die mich zunächst ernüchterten. Nämlich, dass diese Träume nie aufhören: „Erstens, weil der Mensch immer das erträumt, was er nicht hat, zweitens, weil wir in unseren Seelen so angelegt sind, viele Möglichkeiten auszuleben. Drittens – weil wir darin geprüft werden sollen: Nur der, der sich prinzipiell vorstellen kann, auch etwas anderes zu machen – nur der darf sich binden. Ob in einer Ehe, in einem Ordensleben, einem geistlichen Dienst. Denn nur so ist eine Bindung frei und darin immer wieder neu und frisch und aktuell zu erringen. Tja, das ist unser Auftrag – die Freiheit annehmen und leben.“ (danke @W.T.!)

Manchmal wär ich gern ’ne andere. Und morgen früh werde ich gewiss wieder freiwillig in Kleid und Schleier schlüpfen – und auch wieder anders sein als jetzt im Moment, wo ich diese Zeilen schreibe. Hineinschlüpfen werde ich in eine Schwester, die zu sein ich noch lange lernen muss, vermutlich mein Leben lang.

Ganz ehrlich: früher hab ich auch schon davon geträumt, eine andere zu sein. Zum Beispiel eine Ordensfrau.

3 Gedanken zu „Manchmal wär ich gern ’ne andere“

  1. Womöglich sind manche Träume zudem eine – nicht selten etwas anarchistische – Variante unserer Hoffnung, zuweilen als deren Schwester, zuweilen als deren absurdes Plagiat?

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  2. Das Thema wäre eine Blogeintrag wert, da mich das Thema "Hoffnung" in den letzten Tagen ohnehin ein wenig umtreibt … aber die Gedanken verlangen erst nach einer Ordnung. Mal sehen …

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